Das Projekt Weiterbildung 4.OWL stellt die berufliche Weiterbildung auf eine digitale Grundlage
Was macht eine Weiterbildung zu einer sinnvollen Investition? Wie können Unternehmen passende Angebote finden und deren Qualität bewerten? Und wie sollte Weiterbildung Wissen vermitteln, dass es Beschäftigte und Projekte voranbringt? Antworten auf diese Fragen entwickelt »Weiterbildung 4.OWL«, an dem Katharina Altemeier mit dem Fraunhofer IEM federführend beteiligt ist. Im Interview erklärt sie, welche Hürden überwunden werden müssen und was Unternehmen von künftigen Weiterbildungsangeboten erwarten dürfen.
In Anlehnung an den Begriff »Industrie 4.0« wollen wir insbesondere die verschiedenen Facetten der digitalisierten Weiterbildung betonen.
Katharina Altemeier
Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM
Hallo Frau Altemeier, über das Schulsystem in Deutschland häufen sich seit Jahren negative Schlagzeilen. Wie aber steht es um die berufliche Weiterbildung?
Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Es gibt Unternehmen, die die hohe Bedeutung der Weiterbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erkannt haben. Sie haben Strategien entwickelt, um geeignete Angebote auswählen, intern anbieten und Interessierte dabei zu unterstützen, diese auch wahrzunehmen. Diese Strategien beinhalten häufig eine langfristige Planung hinsichtlich der Inhalte und der Auswahl der Weiterbildungsanbieter. Andere Unternehmen sind noch auf der Suche nach einem strukturierten Weiterbildungskonzept und haben Schwierigkeiten, klare Strategien und Lösungen zu entwickeln.
Woran liegt das?
Der Markt ist ausgesprochen unübersichtlich. Zudem ist auch generell nicht immer offensichtlich, was ein sinnvolles, gutes Weiterbildungsangebot ausmacht. Denn wenn Sie einen Kurs beispielsweise zum Security Champion erfolgreich abschließen, heißt das noch lange nicht, dass Sie auch auf die Praxis vorbereitet sind. Neben dem Angebot an sich müssen Unternehmen auch prüfen, was sie mit einzelnen Weiterbildungsmaßnahmen tatsächlich erreichen wollen – jenseits eines Zertifikats.
Es bräuchte eine Weiterbildungsmaßnahme für die Auswahl passender Weiterbildungsmaßnahmen.
Richtig. Im Moment verführen die Unübersichtlichkeit des Weiterbildungsmarkts, die Unsicherheit hinsichtlich der Angebotsqualität und die Frage, was wirklich zur Strategie eines Unternehmens passt, dazu, einfach mal ‚auszuprobieren‘. Gemeinsam mit Partnern und mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wollen wir am Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM deshalb Methoden und Konzepte entwickeln, um Anfragen und Angebote besser zusammenzubringen.
Im Projekt »Weiterbildung 4.OWL – Regional. Digital. Vernetzt« suchen Sie digitale Ansätze und Lösungen im Bereich der beruflichen Weiterbildung.
Es ist uns wichtig, dass wir alle Akteure des Weiterbildungsökosystems in unsere Überlegungen und Konzepte miteinbeziehen. Dazu gehören Beschäftigte, Führungskräfte, Trainerinnen und Trainer ebenso wie Weiterbildungsanbieter und Plattformbetreiber. Wir wollen also nicht nur klären, wie moderne Weiterbildungsangebote didaktisch aufgebaut sein sollten oder was Qualitätskriterien für gute Angebote sein könnten. Uns geht es auch um die technische Vernetzung, die Frage nach bestehenden Restriktionen beispielsweise für Hochschulen und die wirtschaftliche Gestaltung des Ökosystems Weiterbildung. Wir wollen Schnittstellen zwischen Plattformen schaffen und die Grundlagen für die Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle erarbeiten.
Wo setzen Sie an?
Zunächst scannen wir den Markt, um zu sehen, was aktuell angeboten wird. Diese Erkenntnisse gleichen wir mit den Erwartungen der Unternehmen ab, die wir ebenfalls erfassen. Dann geht es um die Frage, wie wir Anforderungen von Unternehmen mit den Erstellungsprozessen von Anbietern in Einklang bringen können. Wir benötigen eine Lösung, die Bedarfe und Angebote auf dem Weiterbildungsmarkt miteinander matcht und Möglichkeiten der Kommunikation und Kollaboration schafft. . Deshalb entwickeln wir ein Portal, in dem Unternehmen ihren Weiterbildungsbedarf skizzieren und Weiterbildungsanbieter entsprechende Angebote erstellen können.
Das erinnert etwas an die Verbraucher*innen-Vergleichsportale für Versicherungen, Stromanbieter und andere.
Auf den ersten Blick ist das tatsächlich die Richtung, in die wir gehen wollen. Allerdings sind Weiterbildungsangebote keine Versicherungen. Wir wollen wesentlich differenzierter vorgehen und mit allen beteiligten Gruppen intensiv zusammenarbeiten. Dafür haben wir mit Partnern Pilotprojekte initiiert anhand derer wir Erfahrungen sammeln und auswerten möchten. Dabei prüfen wir auch unkonventionelle Ideen, wie Möglichkeiten der digitalen Zusammenarbeit von Anbietern und Nachfragern in der Konzeption von Weiterbildungen.
Das Portal wird sich aber vermutlich erst einmal auf die Region fokussieren, die durch it’s OWL definiert ist.
it’s OWL ist ein Spitzencluster in der Region Ostwestfalen-Lippe. Gemeinsam entwickeln hier rund 200 regionale Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Organisationen Lösungen, Perspektiven und konkrete Konzepte für die digitale Transformation des Mittelstands. Auch unser Projekt ist Teil von it‘s OWL, deshalb fokussieren wir uns in der Tat zunächst auf Ostwestfalen-Lippe, sehen unsere Forschungen aber auch als grundlegend an, sodass die Ansätze auch landes- oder bundesweit angewandt werden könnten.
Wir haben noch nicht über die »4« in »Weiterbildung 4.OWL – Regional. Digital. Vernetzt« gesprochen.
In Anlehnung an den Begriff ‚Industrie 4.0‘ wollen wir insbesondere die verschiedenen Facetten der digitalisierten Weiterbildung betonen. Dazu gehört beispielsweise, dass der Weiterbildungsmarkt flexibler werden muss, um kurzfristig auf Bedarfe reagieren zu können. Eine große Herausforderung besteht darin, dass sich auch die Inhalte der beruflichen Weiterbildung durch den digitalen Wandel stark und somit das Wissen immer kürzere Halbwertszeiten aufweist.. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Art und Weise, wie die Digitalisierung die Lernmöglichkeiten verändert und erweitert. Wir bewegen uns zunehmend auf ein 70-20-10-Modell zu, das eine Kombination aus informellen und formellen Lernformen darstellt, wobei dem Lernen am Arbeitsplatz eine zentrale Rolle zukommt.
Damit ist gemeint, dass sich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen heute zu 70 Prozent durch schwierige Aufgaben und berufliche Herausforderungen weiterbilden, zu 20 Prozent durch ihr berufliches Umfeld und zu zehn Prozent durch traditionelle Weiterbildung.
Richtig, und diese Entwicklung wollen und müssen wir durch entsprechende Angebote flankieren. Ein Beispiel: Wenn ich heute zu Hause ein Problem mit einem Gerät oder einer Aufgabe habe, dann sehe ich bei YouTube, wie eine Lösung aussehen könnte. Für den beruflichen Zweig gibt es diese Informationsschnipsel kaum. Wir müssen also einen Weg einschlagen, mögliche Problemstellungen in Unternehmen zu antizipieren und entsprechende Lösungen digital bereitstellen, die immer wieder aktualisiert werden können. Ein weiterer Aspekt ist die Frage der Bewertung der verschiedenen Weiterbildungsangebote. Wie kann ich messen, wie ‚gut‘ ein Produkt ist? Und wie können Feedback-Prozesse integriert werden, damit sich Didaktik und Inhalt weiter verbessern?
Die berufliche Weiterbildung soll so mehr und mehr zu einem integralen Bestandteil des Berufslebens werden.
Die Wahrnehmung von Seminaren als ein- oder mehrmals im Jahr stattfindenden, letztlich aber singulären Veranstaltungen hat sich ein Stück weit überlebt. Lernen muss heraustreten aus dem klassischen Rahmen von Unterricht, Schule und Veranstaltung. Es wird damit zu einem Teil der Unternehmenskultur, der sich auch positiv auf die Work-Life-Balance auswirkt und ein zusätzlicher Motivator im Alltag werden kann.
So interessant sich das anhört: Es setzt Offenheit und Bereitschaft der Unternehmen voraus …
… und die ist nicht immer gegeben. Zumindest im Moment noch nicht bei allen. Das liegt aber nicht unbedingt an fehlendem Interesse, sondern an der Befürchtung, dass Kolleginnen und Kollegen dann weniger Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben haben. Und weil sich der Nutzen nicht unmittelbar messen lässt. Auch hier werden wir Aufklärungsarbeit leisten. Allerdings sehen wir ein stetig wachsendes Interesse der Unternehmen, denn gut ausgebildete Fachkräfte sind schwer zu rekrutieren. Also wollen und müssen sie verstärkt auf die Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen und Engagement in diesem Bereich zeigen.
Welche Aufgaben übernimmt das Fraunhofer IEM im Projekt?
Wir haben einerseits eine koordinierende Rolle und sind mitverantwortlich für die Entwicklung der Technischen Lösung und die Bereitstellung des Anfrage- und Design-Tools, des NEXTlearning Content Hubs und dessen Integration auf der it’s OWL-Innovationsplattform. Aber natürlich sind wir aufgrund unserer Erfahrungen auch an der Entwicklung der Geschäftsmodelle beteiligt. Außerdem verantworten wir gemeinsam mit der Universität Paderborn ein Pilotprojekt, indem wir einen gemeinsamen E-Learning-Kurs zum Thema ‘KI & Ethik‘ entwickeln und bereitstellen. Damit testen wir unsere Ansätze und wollen wertvolle Erfahrungen sammeln.
»Weiterbildung 4.OWL – Regional. Digital. Vernetzt« wird noch rund eineinhalb Jahre laufen. Gibt es schon Zwischenergebnisse?
Das Projekt hat viele Facetten, wird aber von drei Säulen getragen: erstens dem Bereich Technik und Datensicherheit, zweitens der Beantwortung betriebswirtschaftlicher und drittens der Beantwortung didaktischer Fragen. Für jede der drei Säulen arbeiten mehrere Teams, deren Fortschritte naturgemäß unterschiedlich sind. Was ich aber sagen kann ist, dass wir eine Vielzahl von Interviews geführt und Daten aus unterschiedlichen Bereichen verknüpft und analysiert haben. Außerdem arbeiten wir an einem Prototyp für ein Anfragetool, um Nachfrage und Angebot zusammenzubringen, ein Design-Tool, um die Entwicklung von Schulungskonzepten zu unterstützen und zu analysieren und einem Content Hub, an den die beteiligten Akteure andocken können.
Das heißt, dass Unternehmen in ihrem OWL-Einzugsbereich damit rechnen können, in wenigen Jahren eine Plattform zu nutzen, mit dem sie Weiterbildungsmaßnahmen so einsehen und Angebote so nutzen können, wie sie es wirklich brauchen.
Das ist das Ziel. Denn die zukunftsorientierte Qualifizierung der Beschäftigten ist eine zentrale Herausforderung für die Region und ein wichtiges Handlungsfeld der Zukunftsstrategie von it’s OWL. Gleichzeitig ist die Aufgabe zu groß, als dass sie von einzelnen Akteuren allein bewältigt werden könnte. Deshalb ist es wichtig, dass alle regionalen Akteure der Weiterbildung an einem Strang ziehen, um dieses Vorhaben zum Erfolg zu führen. In unserem Projekt schaffen wir wichtige Voraussetzungen dafür, dass eine verstärkte Zusammenarbeit der Akteure in Zukunft möglich wird.
(aku)
Expertin
Katharina Altemeier
Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM