Mona Lisa neu interpretiert als eine Verschmelzung von klassischer Kunst und digitalem Zeitalter. Auf dem Gesicht von der Mona Lisa sind Zahlen- und Buchstabenfragmente zu erkennen, die wie Teile von Softwarecode aussehen.

Kultur im digitalen Raum

Im Zeitalter der Digitalität nehmen Daten auch in kulturellen Kontexten eine signifikante Rolle ein. Die Kultur- und Kreativbranche produziert, nicht zuletzt durch die Digitalisierung von Archiven und Sammlungen oder durch die Bereitstellung von digitalen Ausstellungsangeboten und Veranstaltungshinweisen, eine beträchtliche Menge an Daten. Das offenbart große Potenziale des Austauschs und der kooperativen Nutzbarmachung solcher Daten innerhalb des Kultursektors. Doch es mangelt bisher vor allem an der Verständigung auf technologische Grundlagen. Das Konzept der »Datenräume« ist ein erster Ansatz.

Ob Kunstwerke und Ausstellungsobjekte, Veranstaltungshinweise, Theaterspielpläne oder kulturelle Bildungsangebote: All diese Aspekte verschiedener Domänen der Kulturindustrie sind grundsätzlich auch im digitalen Raum abbildbar. Im Zuge der Digitalisierung sind viele dieser Angebote der Kulturbranche auch schon online abrufbar, meist jedoch verstreut an etlichen Orten und mit verschiedensten Zugangs- und Nutzungsbedingungen belegt. Denn die zu über 90% aus klein- und mittelständischen Unternehmen oder öffentlichen Institutionen bestehende Kunst- und Kulturbranche vollzieht den Gang in die Digitalität häufig weitestgehend im Alleingang. Heraus kommt ein breites aber unübersichtliches Spektrum an digitalen Kunst- und Kulturangeboten, deren Daten auf heterogenen technologischen Infrastrukturen und Standards fußen. Das erschwert den plattformübergreifenden Austausch der Datensätze, die Wiedernutzung und Zugänglichmachung von digitalen Kunst- und Kulturgütern, von Veranstaltungsbekanntmachungen und Bildungsangeboten durch verschiedene Akteur*innen, obwohl dies doch eigentlich großen Mehrwert böte. Wo genau liegt das Problem?

Technische Grundlagen fehlen noch

Vor allem mangle es an der Verständigung auf einheitliche Grundlagen für den Datenaustausch, meint Geogios Toubekis, Projektleiter des »Datenraum Kultur«, eines Forschungsprojekts zum bundesweiten Datenaustausch im Kulturbereich. Das gemeinsame Projekt von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg, dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT sowie weiteren Partnern, hat sich zum Ziel gesetzt, die Möglichkeiten und Grenzen der Datenraumtechnologie im Kultursektor zu explorieren. Denn Datenräume, so die Prämisse, könnten eine technologische Basis liefern, die in der Lage ist, ganz unterschiedliche Domänen der Kulturbranche zu einem transparenten und fairen digitalen Austausch zu befähigen.

Die Infrastruktur des Austauschs

Das Konzept der Datenräume beschreibt eine sich vielerorts im Aufbau befindende technologische Vision, um Daten effizient auffindbar und vor allem zugänglich und nutzbar zu machen. Grundlegend ist dafür Interoperabilität auf semantischer und technischer Ebene, was die Möglichkeit beschreibt, verschiedenste Arten von Daten aus durchweg verschiedenen Systemen und Technologien zu einem geordneten Zusammenspiel zu bringen. Das basiert in der Regel auf der Festlegung und Einhaltung von gewissen Standards, etwa Datenstandards, vor allem aber auf dem Aufbau einer dezentralen, standardisierten technischen Infrastruktur – dem Datenraum.

Datenräume vereinen somit technische Dimensionen, orientiert an Standards und Interoperabilität, mit regulatorischen. Denn ein Datenraum folgt einem konzeptionell fundierten Schema, das den Modus Operandi, die Spielregeln des Datenaustauschs im Vorfeld eindeutig festlegt. Im Mittelpunkt steht dabei Datensouveränität: Dateneigner*innen entscheiden, wem sie ihre Daten zugänglich machen möchten und zu welchen Konditionen. Die Daten selbst verbleiben dabei bei den Dateneigner*innen und werden nicht, wie in gängigen Cloud-Lösungen der globalen Tech-Riesen, zentral gespeichert. Das impliziert eine strikte regulatorische Trennung zwischen der Zugänglichmachung von Daten und ihrer Nutzung. Die Betreiber*innen eines Datenraums, die mit der Bereitstellung der technischen Infrastruktur betraut sind, haben keinen Anteil an der Nutzung bereitgestellter Daten oder den im Vorfeld durch die Dateneigner*innen festgelegten Nutzungskonditionen.

Standbein der Digitalstrategie

Diese strikte konzeptionelle Trennung zwischen Datenraumbetreiber*innen, souveränen Dateneigner*innen sowie den Datennutzer*innen hat sich auch in den Richtlinien für Datenräume der Europäischen Kommission niedergeschlagen. Denn die Europäische Union hat den Aufbau übergreifender, europäischer Datenräume zu einem dezidierten Ziel ihrer Digitalstrategie gemacht – und fördert Forschungsprojekte unterschiedlichster Wirtschaftssektoren wie etwa »All Data 4 Green Deal«, ein Projekt zur Schaffung eines Datenraums gänzlich im Zeichen des »European Green Deal«, ebenfalls unter Mitarbeit des Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT.

Auch dem Aufbau des »Datenraum Kultur« geht ein öffentliches Interesse voraus. Das Forschungsprojekt wird auf bundesdeutscher Ebene durch eine Anschubfinanzierung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert. Innerhalb dieses Projekts dienen vier sehr unterschiedliche Anwendungsszenarien als Testlaufoberfläche für dieselbe im Hintergrund agierende technische Infrastruktur – einen übergreifenden Datenraum für den Kultursektor und die damit impliziten Ansprüche an Daten.

Bewusstsein schaffen

Wie bedeutsam diese technische Dimension jener Daten für die Wiedernutzung und Zugänglichmachung von Kunst- und Kulturgütern ist, lässt sich mit dem zweiten Anwendungsszenario des »Datenraum Kultur« illustrieren. Hier wird konkret betrachtet, was der Wiedernutzung von Digitalisaten außerhalb spezifischer Museumsangebote aktuell meist noch im Weg steht: die Datensätze selbst. Anlässlich des 250. Geburtstags Caspar David Friedrichs, eines der bedeutsamsten Maler der deutschen Romantik, entstand ein Online-Portal, dass mit Digitalisaten und unterschiedlichen archivalischen Quellen zu Werken des Künstlers aus der Hamburger Kunsthalle, der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und der Alten Nationalgalerie Berlin bespielt wird. Zentrales Anliegen der drei Museen für diesen virtuellen Erlebnisraums war, das physisch verteilte Werk des Künstlers in seiner Gesamtheit erfahrbar zu machen. Dabei gestaltete sich gerade die Zusammenführung der Daten selbst als eine der maßgeblichen Herausforderungen. Denn die Pflege von Werken der Kunst, also ihre Erfassung und Archivierung, wuchs in Europa durch die Jahrhunderte hinweg meist orts- und institutionsspezifisch. Daraus resultiert eine Fülle an konkurrierenden regionalen und länderspezifischen Nomenklaturen innerhalb musealer Archivierungsprozesse. Diese Unterschiede in den Werkbezeichnungen auf sprachlicher Ebene werden darüber hinaus durch ebenfalls historisch bedingte unterschiedliche Konzepte der Überführung von Kunstwerken in den digitalen Raum verkompliziert.

Hier kommen die europäischen Datenstandards zum Tragen. Ihre Etablierung in der kunstwissenschaftlichen Fachwelt als auch auf der Ebene derer, die tagtäglich Kulturangebote analog und digital bereitstellen, wird maßgeblich durch viele wissenschaftliche Initiativen angeschoben. Projekte wie der »Datenraum Kultur« sind daher wegweisende Vorhaben, die innereuropäische Standardisierung voranzubringen, um die Wiedernutzbarkeit von Daten zu vereinfachen. Die Etablierung derartiger Standards produziert dabei nicht unerhebliche Aufwände für Unternehmen und Institutionen. Im Kern ist das Anliegen von Projekten à la »Datenraum Kultur« aber auch, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass eine frühzeitige Nutzung von Datenstandards zur Schaffung eines Mehrwerts aller beiträgt. Denn sind Standards einmal etabliert, stellen Akteur*innen nicht nur Daten für andere bereit – mit vergleichsweise überschaubarem Aufwand können Daten anderer auch auf der eigenen Seite integriert und nutzbar gemacht werden. Der Vorteil: Der regulatorische Rahmen, also die Bedingungen der Datennutzung, die sind im Konzept der Datenräume bereits vorausgedacht – und werden durch Datennutzungsverträge weiter komplementiert.

Caspar David wer?

Die Etablierung von Datenstandards beinhaltet eine weitere zentrale Komponente: die Maschinenlesbarkeit der Datensätze. Denn die Vereinheitlichung der Nomenklaturen von Kunstwerken beinhaltet nicht zwangsläufig, dass datenverarbeitende Maschinen einen Namen wie Caspar David Friedrich einer bestimmten historischen Person zuordnen können. Dafür braucht es sogenannte Normdateien – eindeutige, identifizierbare alphanumerische Codes, anhand derer maschinelle Systeme etwa verschiedene Online-Kataloge von Museen miteinander verschneiden können.

Beispiele für Maschinenlesbarkeit im kulturellen Kontext gibt es derweil schon. Das Staatstheater Augsburg etwa hat Pionierarbeit in puncto maschinenlesbarer Theaterspielpläne geleistet und einen Anwendungsbeitrag des »Datenraum Kultur«-Projektes mit initiiert. Das Anwendungsszenario 3 versucht genau hier anzusetzen und unter der Leitung des Deutschen Bühnenverein und der Akademie für Theater und Digitalität Dortmund ein Regelwerk für standardisierte Spielplandaten mit der Theater-Community auszuhandeln. Ziel ist es, einen deutschlandweiten automatisierten Datentransfer zwischen den in Deutschland etwa 1.000 Spielstätten zu ermöglichen. Perspektivisch kann das etwa eine automatisierte Befüllung von Veranstaltungskalendern beinhalten, bei der tagesaktuelle Besetzungen sowie kurzfristige Änderungen in Echtzeit kommuniziert werden können.

Grenzen ausloten

Eines der vier Anwendungsszenarien im Projekt »Datenraum Kultur«, das erste und ambitionierteste, sagt Georgios Toubekis, befasst sich mit der überregionalen Verschneidung und individuellen Personalisierung von Veranstaltungshinweisen verschiedenster Akteur*innen der Kulturbranche. Hier wird neben dem zentralen Aspekt von Datenräumen, den vertrauenswürdigen Austausch von Datensets zu ermöglichen, ein weiterer Anspruch formuliert: der eines konkreten Dienstes der Personalisierung. Eben jene Personalisierung von Inhalten basierend auf der Plattformaktivität von Nutzer*innen – was große Social-Media Plattformen schon lange können – die erweist sich ohne das Sammeln und Speichern solcher Daten in detaillierten Nutzendenprofilen als äußerst herausfordernd. Und so wirft das Anwendungsszenario eins mehr Fragen auf als es aktuell beantworten kann. Wer darf im konzeptionellen Rahmen eines Datenraums Nutzendendaten sammeln? Und wie und unter welchen Bedingungen dürfen diese weiter genutzt werden? »Meiner Einschätzung nach erreichen wir mit dem Use Case 1 derzeit die Grenzen dessen, was Datenraumtechnologien aktuell leisten können«, erklärt Georgios Toubekis. »Dieser Use Case zielt also auch darauf ab nachzuweisen, dass es völlig neuartiger Unterstützungsdienste bedarf, um die Personalisierung digitaler Kulturangebote unter Berücksichtigung des Prinzips der Datensouveränität umzusetzen.«

Forschungsprojekte wie das des »Datenraum Kultur« können also auch als Unternehmungen verstanden werden, die Grenzen einer vielversprechenden Technologie zu explorieren. Auch das ist Wissenschaft.

(rah)


Georgios Toubekis

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