Umweltdaten für alle

Um Klima- und Umweltziele zu erreichen, reicht es nicht nur Maßnahmen gesetzlich zu verankern. Vielmehr muss ihre Umsetzung und Einhaltung als gesamtgesellschaftliche Arbeit betrachtet werden. Dazu gehört auch, die selbst gesteckten Ziele mit den nötigen Datengrundlagen zu unterfüttern und zu überwachen. Dafür braucht es Plattformen des Austauschs und der Nutzbarmachung von Datensätzen – sogenannte Datenräume. Im Zuge des »European Green Deal« soll ein interoperabler, grüner Datenraum entstehen.

Die Europäische Union will klimaneutral werden – und das als erster Kontinent weltweit. Bis 2030 sollen die Netto-Treibhausgasemissionen um 55% im Vergleich zu 1990 reduziert worden sein, bis 2050 will man den Ausstoß klimaschädlicher Gase auf null gefahren haben. Mit der Vorstellung des »European Green Deal« im Jahr 2019 durch Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, hat sich die europäische Staatengemeinschaft nicht nur ambitionierte Ziele gesetzt, sondern diese auch mit konkreten Plänen und Einzelmaßnahmen unterfüttert. Die vorgeschlagenen Maßnahmen berühren dabei vielerlei Domänen, etwa die Klima-, Energie-, Umwelt- und Verkehrspolitik, und umfassen explizite Gesetze, Verordnungen und Vorschriften. Doch klimapolitische Forderungen mit konkreten Handlungen zu unterfüttern, setzt häufig auch voraus, dass die richtige Infrastruktur bereits besteht. Maßnahmen müssen nicht nur ersonnen, in Gesetzte geschrieben und umgesetzt werden, sie müssen auch begleitet und auf Effizienz und Wirksamkeit überprüft werden. Insbesondere im IT-Sektor ist das Vorhandensein einer derart überstaatlichen Infrastruktur vielerorts noch nicht der Fall. Der auf den ersten Blick nicht gerade mit Klima- und Umweltschutzaspirationen brillierende Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologien ist bei genauerer Betrachtung allerdings von entscheidender Relevanz, wenn es etwa darum geht, die Klima- und Umweltziele des »European Green Deal« auf supranationaler Ebene zu erreichen. Denn wer Ziele erreichen möchte, der muss die Wirksamkeit seiner Maßnahmen auch mit Daten bewerten können. Zudem spielt Transferierbarkeit eine wichtige Rolle. Was bringt es beispielsweise, die Wasserqualität deutscher Gewässer zu überwachen und wissenschaftliche Erkenntnisse hinsichtlich Biodiversität aus ihr zu destillieren, wenn die erhobenen Daten aufgrund von Schnittstellenproblemen in Spanien nur mit großem Aufwand verwendet werden kann? Es braucht eine Infrastruktur zum Tauschen von wissenschaftlichen Daten – und das auch oder ganz besonders angesichts der erheblichen ökologischen und klimabezogenen Herausforderungen in Europa und der Welt. Die Europäische Kommission hat deshalb den Aufbau übergreifender, europäischer Datenräume auf der Basis offener Standards für verschiedene Wirtschaftssektoren angeordnet. Ausdrückliches Ziel: einen ‚FAIRen‘ und effizienten Datenaustausch zu ermöglichen.

Dass es grundlegend an Daten mangele, davon kann bei Weitem nicht die Rede sein. Mehr als 103 Zettabyte, also 103 Milliarden Terabytes an Daten, sollen allein 2022 weltweit generiert oder repliziert worden sein. Vor allem Smart-City Technologien und das Internet of Things (IoT), untereinander vernetzte, häufig intelligente Digitalgeräte, tragen einen Großteil dazu bei. Aber auch europäische Kommunen und Einrichtungen sind dazu verpflichtet, regelmäßige Messungen, etwa von Umweltdaten, vorzunehmen und diese zugänglich zu machen. »FAIR« sind die erhobenen Daten dabei noch lange nicht. »FAIR«, das steht für Findable, Accessible, Interoperable und Reusable, zu Deutsch auffindbar, zugänglich, interoperabel und wiederverwendbar. Diese »FAIR-Prinzipien« gelten als das Credo für den Aufbau zukünftiger sogenannter Data Spaces, der Datenräume. Mit Hilfe eben dieser offenen Datenräume sollen Daten auffindbar und zugänglich, vor allem aber nutzbar für diejenigen gemacht werden, die spezifische Daten benötigen – etwa Wissenschaftler*innen verschiedener europäischer Länder, aber auch staatliche und nicht-staatliche Institutionen, Unternehmen etc. Dafür müssen die Daten vorab aber erst einmal interoperabel sein, also auf der Grundlage übergreifender IT-Architekturen und Standards miteinander vereinbar und kombinierbar sein. Erst dann können Teile der unvorstellbaren Mengen täglich gesammelter Daten effizient verschnitten werden – und für Geltungsbereiche des »European Green Deal«, wie Biodiversität, Wasserqualität und Maßnahmen gegen den Klimawandel, supranational nutzbar gemacht werden.

Hinter dem Aufbau von Datenräumen steckt auch eine politische Motivation. Es geht um nicht weniger als Unabhängigkeit und Datensouveränität. Unabhängigkeit vor allem von den großen internationalen, momentan vor allem US-amerikanischen, Cloud-Service Anbietern. Souveränität bezieht sich vor allem darauf, dass die Daten, die in einen Datenraum eingespeist werden, dennoch so lange bei den Dataprovidern, den Zulieferern, bleiben, wie eine Anfrage auf Zurverfügungstellung eingeht. Die Entscheidungskraft, an wen die Daten überhaupt gehen, obliegt dabei weiterhin den Dateneigentümer*innen.

Datensouveränität zu gewährleisten ist auch einer der Beweggründe des Forschungsprojekts »All Data 4 Green Deal«. Das aus einem Konsortium von 12 internationalen Partner*innen bestehende Projekt ist eines unter mehreren konkreten Umsetzungsvorhaben der EU, die die Etablierung verschiedener intersektoraler Datenräume zum Ziel haben. »All Data 4 Green Deal« steht dabei, der Name macht es unmissverständlich deutlich, gänzlich im Zeichen des »European Green Deal«. Das Projekt ist Teil mehrerer europäischer Initiativen, die zusammen an einem gemeinsamen und einheitlichen EU-weiten Datenraum arbeiten, der im Besonderen auf die Bedürfnisse des »Green Deal« zugeschnitten sein soll. »All Data 4 Green Deal« konzentriert sich dementsprechend explizit auf Biodiversität, Klimawandel und Verschmutzung. Das gemeinsame Ziel ist es einen nahtlosen digitalen Raum zu schaffen, in dem die durch Sensorsysteme, Satelliten, Wissenschaftler*innen oder Bürger*innen gesammelten Daten in hochgradig nutzbare und zuverlässige Informationen für wissenschaftliche Dienste umgewandelt werden. Vereinfacht gesagt: die klima- und umweltbezogenen Daten, die eh schon vielerorts gesammelt werden, entlang Interoperabilitätskriterien aufzubereiten und bereitzustellen, sodass diese von anderen genutzt werden können. Um diese Vision umzusetzen, haben sich verschiedenartige Beteiligte, darunter Universitäten, Forschungsinstitute wie das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT), kleine und mittlerer Unternehmen (KMU), Regierungsstellen, öffentliche Forschungszentren und gemeinnützige Organisationen zusammengetan.

Für die Entwicklung, Bereitstellung und Erprobung eines gemeinsamen intereuropäischen Datenraums wurden im Rahmen von »All Data 4 Green Deal« vorerst drei konkrete Pilot-Studien definiert, die sich mit Wasserqualität kleiner Berliner Seen, Biodiversität in Katalonien sowie Luftqualität in Norditalien beschäftigen. Dabei wird für alle drei Pilot-Studien auf Daten unterschiedlichste Dataprovider im Datenraum zurückgegriffen. Teil dieser Daten können etwa lokal erhobene Messwerte wie zum Beispiel von IoT Sensoren oder durch Beobachtungen von Bürger*innen sein. Diese sogenannten »Ground Truth Daten« können dann mit anderen größer skalierten Daten aus dem Datenraum, etwa Satellitendaten, beispielsweise für das Trainieren von Machine Learning Modellen verwendet werden. Mit diesen Modellen sollen Aussagen bezüglich der Domänen Wasserqualität, Biodiversität und Luftverschmutzung auch in anderen Regionen getroffen werden können, in denen nur unzureichende Ground Truth Daten vorliegen. Besonders ist hierbei vor allem, dass Dataprovider ganz unterschiedlicher Größenordnung beitragen können: von lokal ansässigen Akteur*innen mit Naturschutzinteressen, im Falle der Berliner Seen zum Beispiel Angelvereine oder Anwohner*innen, über kleine Unternehmen bis hin zu großen, überregionalen Forschungseinrichtungen wie dem »European Center for Medium-Range Weather Forecasts (ECMWF)«: Jede*r kann prinzipiell Daten beisteuern – und das im Dienste der Wissenschaft.

Damit das klappt, geht es neben der Herstellung von Interoperabilität auf semantischer und technologischer Ebene, vor allem auch um Zugänglichkeit im Sinne der »FAIR-Prinzipien«: das Interface des Green Deal Data Spaces soll möglichst nutzer*innenfreundlich und leicht verständlich gestaltet sein, gerade auch, um die heterogen durchmischten zukünftigen Nutzenden abzuholen. Diese Ansprüche im Projektrahmen von »All Data 4 Green Deal« umzusetzen, das ist eine der Kernaufgaben der Abteilung »Human-Centered Engineering & Design« des Fraunhofer FIT. Anstatt wie sonst eher üblich, Datenräume aus rein informationstechnologischer Warte zu betrachten, nehmen die Beteiligten Wissenschaftler*innen des Fraunhofer FIT eine ausdrücklich menschzentrierte Perspektive ein, die sich vor allem auf das Interface und die Gesamterfahrung der Nutzenden des europäischen Datenraums niederschlagen soll. Nach Anforderungs- und Bedarfsanalysen unter Involvierung der verschiedenen Stakeholder geht es in die Umsetzungsphase, in der Partner*innen im Projekt die technische Infrastruktur aufsetzen. Dabei wird sich frei zugänglicher, standardisierter Open Source-Implementierungen bedient, die dann entsprechend der Anforderungen an den Green Deal Data Space angepasst werden können. In einem nächsten Schritt werden Interface-Prototypen unter maßgeblicher Involvierung des Fraunhofer FIT entwickelt, die dann wiederum mit den Akteur*innen und Stakeholdern des Projekts in einer ausgiebigen Testphase geprüft und weiterentwickelt werden.

Projekte wie »All Data 4 Green Deal« sind zukunftsweisend. Es braucht derart großgedachte und wirksam finanzierte Projekte, auch und vor allem auf Seiten der Informationstechnologie, um klima- und umweltbezogene Daten und aus ihnen destillierte wissenschaftliche Erkenntnisse teil- und nutzbar machen zu können. Nicht nur für Wissenschaftler*innen ist das äußerst bedeutsam – auch für politische Verantwortungs- und Entscheidungsträger*innen. Polarisierende gesetzliche Maßnahmen benötigen statistische und wissenschaftliche Daten zur Legitimation – das fordert die Öffentlichkeit häufig ein. In Zukunft wird aber nicht ein Datenraum alleine die Bewältigung der multiplen Herausforderungen und Problemlagen der Klima- und Umweltkrise unserer heutigen globalen Gesellschaft effektiv unterstützen können. Es braucht vielmehr große Datennetzwerke, bestehend aus verschiedenen interoperablen Datenräumen, die über Identifier, sozusagen Brücken zwischen Datenräumen, miteinander verbunden werden können. Die Errichtung eines dezidierten Green Deal Data Spaces im Rahmen eines Programms wie des »European Green Deal« ist ein Schritt in die richtige Richtung – hoffentlich mit Signalwirkung! Denn der menschgemachte Klimawandel lässt nicht auf sich warten – und im Alleingang lösen schon gar nicht.

(rah)


Konstanze Ritzmann

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