Urbaner Lieferengpass

Typisch Innenstadt: Der Platz ist knapp– auch für das Parken. Lieferverkehr aber ist unverzichtbar für das urbane Leben. Ausgewiesene Lieferzonen verschaffen den Freiraum, den die Lieferantinnen für ihre tägliche Arbeit benötigen. Sind die Zonen zudem digitalisiert, lassen sich freie Plätze direkt ansteuern. So können Kommunen den Verkehr gezielt lenken sowie Nutzungsregeln und Umweltzonen managen. In einem transnationalen Projekt haben Forscherinnen den Mehrwert eines digitalen Liefermanagements ausgelotet und in Pilotstädten evaluiert.

Mit 5,7 Millionen Einwohner*innen ist Ankara zwar nur eine halbe Megacity (Stadtbevölkerung von mehr als 10 Millionen). Dennoch leben in der türkischen Hauptstadt so viele Menschen, wie in ganz Dänemark. Sie alle müssen versorgt werden, mit den grundlegenden Waren des täglichen Bedarfs. Vor allem mit Lebensmitteln wie Obst, Gemüse und Fisch. Der größte Umschlagplatz dafür ist der »Ankara Büyükşehir Belediyesi Toptancı Hali«. Ein 22 Hektar großes Marktgelände mit drei Hallen, in denen auf 66 Verkaufsflächen und in über 200 Läden die Frischwaren gehandelt werden. Rund um die Hallen gibt es Ladeplätze für 150 Marktfahrzeuge und Lastwagen. Die übrigen Lastwagen und Transporter werden auf dem Parkplatz außerhalb des eigentlichen Marktgeländes abgestellt, der Stellfläche für rund 600 Fahrzeuge bietet. Mehrere hundert Fahrzeuge pro Tag liefern an und transportieren ab. Zwischen Mitternacht und vier Uhr früh herrscht auf dem Großmarkt Hochbetrieb. Eine Verkehrslenkung oder Stellplatzlogistik, die die Lieferaktivitäten auf dem Markt in geordnete Bahnen lenkt, gibt es auf dem Großmarkt nicht – zumindest nicht aktuell. Und das hat Konsequenzen: LKW, die in zweiter Reihe entladen werden, blockieren Fahrwege, Fahrer*innen versuchen gesten- und wortreich andere dazu zu bewegen, etwas Platz zu machen. Es wird rangiert und umgeparkt, um eng an eng einen Standplatz zu finden – unerheblich, ob es sich dabei um einen der vorgesehenen Parkplätze handelt oder einen Teil des Fahrweges. Gleichzeitig laufen und fahren Träger*innen, Fahrräder und kleine Marktfahrzeuge unablässig und im Zickzack zwischen den rangierenden und parkenden LKW hindurch. »Die Situation, die man auf dem Markt während der Hochbetriebszeiten erlebt, lässt sich nicht anders als tumultartig und chaotisch beschreiben«, berichtet Cansu Yapici-Öztas vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. Erschwerend komme hinzu, dass organisierte Kriminelle die fehlende Kontrolle der Lieferaktivitäten auf dem Markt ausnutzen. »Sie blockieren die besten Stellplätze und geben sie nur gegen Zahlung von Geldbeträgen frei«, ergänzt Yapici-Öztas.

Pilotversuch eines digitalen Lieferzonenmanagements

Unter den gegebenen Bedingungen lassen sich weder die Arbeitssicherheit der auf dem Markt tätigen Frauen und Männer, noch ein effizientes An- und Abfahren der Waren gewährleisten. Stadtverwaltung und BELKA AS, die für den Marktbetrieb zuständige Behörde, wollen nun Maßnahmen ergreifen, um die Verkehrssituation auf dem Großmarktgelände sicherer zu machen und zudem mittelfristig den Einsatz emissionsarmer Fahrzeuge gezielt fördern. Sie erprobten deshalb, wie auf dem Gelände des Großmarkts in Ankara ein digitales Lieferzonenmanagement eingeführt werden kann.

Der Markt wurde dafür zu einem von drei Pilotgebieten des EU-Projekts »S+LOADZ«. Gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft, Industrie und den jeweiligen Kommunalbehörden erarbeiteten und testeten Forscherinnen des Fraunhofer IAO hier, ebenso wie im 10. Pariser Arrondissement und im Stadtgebiet von Vic bei Barcelona, Konzepte für ein smartes Management urbaner Lieferzonen. »Die technische Infrastruktur, die wir genutzt haben, ist in allen drei Pilotgebieten dieselbe«, betont Rebecca Litauer vom Fraunhofer IAO, die das Projekt gemeinsam mit Yapici-Öztas betreut. Denn für das Lieferzonenmanagement wird die App und Plattform des Projektpartners ParkUnload SL genutzt.

Das Funktionsprinzip dieses Systems ist einfach und lässt sich flexibel und mit wenig Aufwand installieren: Die Beschilderung an den als Lieferzone ausgewiesenen Parkflächen werden mit speziellen Bluetooth-Tokens ausgestattet, die über ein zusätzliches implementiertes Funksystem mit der ParkUnload-Plattform verbunden sind. Der Parkvorgang lässt sich nun über die zugehörige App für Lieferfahrzeuge starten und beenden. »Alternativ kann der Fahrer oder die Fahrerin auch einen speziellen Smart Parking Button nutzen, der sich am Armaturenbrett ankleben lässt. Für das Ein- und Ausloggen an einer Lieferzone genügt dann ein einfacher Knopfdruck«, ergänzt Litauer. Außerdem können sich die Fahrer*innen über digitale Karten in der App vorab informieren, wo es im Zielgebiet Lieferzonen gibt und ob diese frei oder besetzt sind.

Lieferverkehr steuern, überwachen und analysieren

Die Kommunen können über die Plattform die Einhaltung der festgesetzten Umweltzonen und Parkregelungen kontrollieren und gegebenenfalls auch Gebühren erheben. »Vor allem aber erhalten sie nun Informationen zur Nutzung der Lieferzonen und damit wichtige Fakten zur Weiterentwicklung ihrer Verkehrs- und Umweltkonzepte«, so Litauer. Aktuelle und möglichst umfangreiche Daten seien für die Behörden essenziell. Mit dem ParkUnload-System lässt sich zum Beispiel analysieren, wie stark die Lieferzonen frequentiert werden, wie lange die einzelnen Ladevorgänge dauern oder auch welche Fahrzeuggrößen und Schadstoffklassen dafür im Einsatz sind.

Sowohl in Paris als auch in Vic wurde das digitale Lieferzonenmanagement an bestehenden sowie neu eingerichteten Ladeplätzen im öffentlichen Raum des Stadtgebiets installiert. »Unser Ziel ist es, mithilfe der gewonnenen Daten und Erfahrungen bestehende Parkraumkonzepte weiterzuentwickeln, um die Verkehrssituation in den Städten nachhaltig zu verbessern. Außerdem wollen wir erreichen, dass sich das System in die Verkehrsmanagementprozesse der Kommunen integrieren und für weitere Planungen nutzen lässt«, sagt Litauer. Dass beide Kommunen dabei bereits Vorerfahrungen im Bereich Lieferzonenmanagement besitzen, sei ein Vorteil. Zum Beispiel analysieren sie die Lieferzonennutzung bereits mithilfe von Kameras. Lieferdienste können sich dann auf einer Webseite über die aktuelle Auslastung bestimmter Ladeplätze informieren.

Am Großmarkt in Ankara dagegen ist die Ausgangssituation grundlegend anders: Hier war das Management von Lieferzonen sowohl für die zuständigen Behörden wie für die Lieferant*innen Neuland. Außerdem wird hier das ParkUnload-System erstmalig für die Parkraumlogistik innerhalb eines Marktareals mit entsprechend kleinräumigem Lieferverkehr eingesetzt.

Neueinführung von Lieferzonen

»Wir mussten buchstäblich bei null anfangen und in Zusammenarbeit mit der Betreiberbehörde ein Konzept entwickeln, wie sich der Verkehr auf dem Marktgelände grundsätzlich organisieren und steuern lässt«, betont Yapici-Öztas. Die von ihr mitentwickelte Lösung unterteilt die vorhandenen Parkflächen nun in vier Zonen, die jeweils Stellplätze für einen bestimmten Fahrzeugtyp bieten. Ein Bereich ist beispielsweise speziell für die größeren LKWs mit bis zu 16 Tonnen reserviert. Für die Umsetzung des Konzepts wurde vorgesehen, die vier Zonen auf dem Areal mit farbigen Bodenmarkierungen zu kennzeichnen und zusätzlich – ebenfalls farbig unterschiedlich – zu beschildern und mit den Bluetooth-Token auszustatten. Parallel dazu integrierten die Projektpartner das Vier-Zonen-Konzept in die ParkUnload-App.

»Für den Praxistest des Konzepts hatten wir im Rahmen des Projekts allerdings nur wenige Monate Zeit und die Einrichtung der Zonen musste bei laufendem Marktbetrieb erfolgen, hätte also auf Flächen stattfinden müssen, die immer zumindest teilweise besetzt waren«, so Yapici-Öztas. Das Projektteam entschied daher, zunächst nur eine Fläche im Bereich des Parkplatzes abseits der Markthallen zu markieren und in das digitale Lieferzonenmanagement einzubinden. Mit der ParkUnload-App konnten LKW-Fahrer*innen dann diese Parkzone ansteuern und nutzen.

Am Ende der Erprobungsphase haben die Forscher*innen die Marktakteure befragt, ob und in welcher Hinsicht sich die Verkehrssituation auf dem Markt verbessert hat. »Für belastbare Parkdaten war Dauer und Umfang des Praxistests zwar zu kurz. Die Antworten der Befragung belegen jedoch bereits signifikante Verbesserungen im Sicherheitsempfinden – für die Fahrer*innen als auch für Personen, die zu Fuß auf dem Markt unterwegs sind«, so Yapici-Öztas.

Mehrwert digitalisierter Lieferzonen

»Der Pilot auf dem Großmarkt in Ankara ist eine Blaupause für Konzepte und Vorgehensweisen, um das digitale Lieferzonenmanagement auch ohne Erfahrungen der Kommune und unter Berücksichtigung kultureller Unterschiede und lokaler Gegebenheiten zu planen und einzuführen«, erklärt Litauer. Zusammen mit den Erfahrungen aus den anderen Pilotgebieten, in denen die Digitalisierung bereits weiter fortgeschritten ist, ergebe sich dadurch eine Gesamtsicht auf die Chancen und die Herausforderungen, um umfangreichen Lieferverkehr intelligent zu koordinieren. Die gesammelten Erkenntnisse und Empfehlungen zur Einführung eines digitalen Lieferzonenmanagements finden Interessierte im S+LOADZ-Handbuch, das auf der Projektwebseite zum Download bereitgestellt ist.

(stw)


Rebecca Litauer

Cansu Yapici-Öztas

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