KI-gestützte Datenverarbeitung ermöglicht verbesserte Prognosen von Krisen
Verschiedenartige Krisen stehen in Wechselwirkung zueinander und verstärken sich häufig gegenseitig. Treffen etwa Wetterextremsituationen auf stark ansteigende Zahlen an Krankheitsfällen, bedroht das die Wirtschaft in besonderem Maße. Doch die Krisensituationen zugrundeliegenden Daten werden in der heutigen Zeit meist bereits gesammelt. Um diese Daten allerdings miteinander zu verschneiden und effektive Vorhersagen zu generieren, braucht es innovative Techniken der Datenverarbeitung. Künstliche Intelligenz kann dabei helfen.
Im Winter steigen die Infektionszahlen. Viren und andere Krankheitserreger überleben länger, Menschen befinden sich häufiger in Innenräumen und öffentlichen Verkehrsmitteln, die Vitamin-D-Produktion sinkt – all jene Faktoren beeinflussen die Anfälligkeit für Krankheiten. Dass Außentemperaturen einen Einfluss auf das Infektionsgeschehen haben, ist nach der Coronavirus-Pandemie der letzten Jahre und dem periodisch-winterlichen Bangen um die europäischen Gesundheitssysteme, wiederkehrenden Maßnahmen zur Eindämmung der pandemischen Lage und weiteren unangenehmen Implikationen wahrscheinlich nicht näher erläuterungsbedürftig. Verschiedenartige Faktoren für die Herausbildung korrelierender Krisensituationen potenzieren sich häufig gegenseitig. Wetterextremsituationen, wie etwa die Flutkatastrophe in Deutschland 2021, können die Infrastruktur ganzer Regionen lahmlegen, Transportwege für Waren verunmöglichen, Menschen dazu zwingen, ihre Prioritäten zu verschieben und sich akuteren Angelegenheiten als ihrer Erwerbstätigkeit zuzuwenden. Kommen nun steigende Infektionszahlen hinzu, fallen in kurzen zeitlichen Abständen immer mehr Arbeitskräfte aus. Solche Verschneidungen verschiedener, in Wechselwirkung zueinander stehender Krisen sind eine erhebliche Belastung für die Volkswirtschaft. Aber können wir derartig zusammenhängende Krisen effektiv und vor allem frühzeitig vorhersagen?
Daten als Möglichkeiten
Daten fallen in der heutigen Zeit an nahezu allen Stellen an, innerhalb derer Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) irgendeine Rolle einnehmen. Und ja, diese Daten können grundsätzlich genutzt werden, um Krisen zu prognostizieren. Doch leichter gesagt als getan: Wesentliches Problem sind häufig weniger die Datenströme an sich, als vielmehr die Frage danach, wem der Zugriff auf diese Daten gewährt wird, ob sie frei verfügbar sind oder ob sie, beispielsweise in eine unternehmerische Wertschöpfungskette integriert, unter Verschluss gehalten werden. Sind die Daten allerdings erst einmal erschlossen, können viele von ihnen miteinander gekoppelt werden und für eine optimierte Prognose von ökonomisch neuralgischen Situationen nutzbar gemacht werden. Dafür müssen krisenspezifische Daten, am Beispiel der Corona-Pandemie etwa die durch das Robert-Koch-Institut (RKI) gesammelten und weitestgehend öffentlich zugänglichen epidemiologischen Daten, wie Inzidenzzahlen, Reproduktionswerte, Impfdaten etc., mit krisenunspezifischen Daten, wie Klima- und Wetterdaten, Bewegungs- oder Kontaktdaten angereichert werden. Wetterdaten etwa werden kontinuierlich durch den Deutschen Wetterdienst (DWD) mittels Sensorik gesammelt, die über ganz Deutschland verteilt ist. Der Zugriff auf diese Daten ist dabei tendenziell niedrigschwellig. Was ist aber mit unternehmerischen Daten, etwa betriebswirtschaftlichen, logistischen oder medizinischen, die nicht derart leicht zugänglich sind, häufig sogar aus ökonomischen oder Datenschutzkonformitätsgründen der Geheimhaltung unterliegen? Und was für ein System kann mit strukturell derart unterschiedlichen Datentypen umgehen?
Verschiedene Interessen vereint
Im Projekt »DAKI-FWS« des Fraunhofer Heinrich-Hertz-Instituts HHI soll genau hierfür eine praktikable und modulare Lösung gefunden werden. In Zusammenarbeit mit etlichen Partner*innen aus universitärer und außeruniversitärer Forschung als auch Unternehmen wird ein generisches Modell erarbeitet, das durch die Verknüpfung unterschiedlicher Datenquellen und mittels einer auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierten Datenanalyse zukünftige in Wechselwirkung stehende Krisensituationen frühzeitig erkennen kann und deren Verlauf genauer vorhersagt. Ziel ist es, ein niedrigschwelliges, branchenunspezifisches und somit adaptierbares Prognosesystem zu erschaffen, dass potenzielle Krisen antizipiert und vorausgehende Krisenpräventionsmechanismen durch Politik und Wirtschaft ermöglicht. Das »Daten- und KI-gestützte Frühwarnsystem zur Stabilisierung der deutschen Wirtschaft«, kurz »DAKI-FWS«, ist dabei als Baukasten-artiges, adaptives System zu verstehen, dass eigene Prognosen auf Grundlage einer intelligenten Verknüpfung der öffentlich verfügbaren krisenspezifischen Rohdaten (Fallzahlen, Krankenhausbelegung etc.) und krisenunspezifischen Metadaten (Klimadaten, Reisedaten etc.) tätigt. Im Folgeschritt werden diese datenbasierten Prognosen innerhalb einer Analyseplattform dargestellt, gleichzeitig aber auch eine Service-Schnittstelle angeboten, mit der kleine und mittlere Unternehmen (KMU) adressiert werden können.
Der Vorteil daran: die Berücksichtigung verschiedener, durchaus heterogener Stakeholder-Interessen. Mittels der Analyseplattform und seiner Simulations-Tools etwa wird vor allem die Politik und Öffentlichkeit angesprochen, die Bereitstellung von spezifischen Schnittstellen wiederum ist vor allem für Unternehmen von Interesse. Denn unternehmensinterne Daten müssen nicht vorangehend veröffentlicht werden, vielmehr können Warnungen aus dem »DAKI-FWS«-System in vorhandene unternehmenseigene IT-Infrastruktur implementiert werden. Bereits in unternehmensinterne Prozesse involvierte Dienstleistungsunternehmen oder Risk-Management Anbieter, die ein spezifisches Know-How mitbringen, wie etwa der »DAKI«-Projektpartner »Logiball«, werden dabei mit den entsprechenden Prognosen versorgt. Und auch andersherum, also in das »DAKI-FWS«-System, sollen zukünftig branchenspezifische Datenquellen unkompliziert und datenschutzkonform integriert werden können.
Die Corona-Pandemie als Anstoß
Anlass der Entwicklung eines Frühwarnsystems, das die Resilienz der deutschen Wirtschaft in zukünftigen Krisensituationen durch den Einsatz neuer digitaler Technologien stärkt, war die Coronavirus-Pandemie. Im Rahmen des KI-Innovationswettbewerbs, eines Förderprogramms des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), wurden 2021 vor allem Forschungsprojekte gefördert, die für infektiologische und zukünftige gesellschafts- und wirtschaftsbedrohende Krisen eingesetzt werden können.
Im Projekt »DAKI-FWS« wurden daher exemplarisch erst einmal zweierlei in Kausalzusammenhang stehende Krisen betrachtet: eine infektiöse Krise und eine durch klimatische Extremereignisse, wie Hochwasser, Stürme oder Hitzewellen hervorgebrachte Krise. Beide Krisensituationen lieferten kontinuierliche und leicht zugängliche Datensätze. Anhand dieser in Zusammenhang stehenden Krisensituationen und ihrer Datenquellen wurden die Analyseplattform, ihre zugrundeliegenden Verfahren zur Konsolidierung der Daten wie auch die entsprechenden optimierten KI-Verfahren zur Prognostizierung entwickelt.
Verbesserte Voraussagen, aber wie?
Grundlegend ist das »DAKI«-Frühwarnsystem als dreistufiges Modell konzipiert. Sind die in die Prognosen einzubeziehenden Daten erst einmal gesammelt, folgt eine nicht unbeträchtliche Menge an Datenverarbeitungsschritten. Daten müssen gesäubert und vor allem in räumlicher und zeitlicher Auflösung vergleichbar gemacht werden. Das ist bei einem derartigen Maß an struktureller Heterogenität der Datensätze bei Weitem nicht trivial – vielmehr braucht es ausgeklügelte Algorithmen zur Selektion und Konsolidierung komparabler Daten als auch den Aufbau und die Integration von kontinuierlichen Datenströmen in Nahe-Echtzeit. Im drauffolgenden Schritt, der eigentlichen Analyse, wird aus jeder Datenmodalität ein Vorhersage-System extrahiert. Mittels sowohl bereits bestehender als aber vor allem eigens vom Fraunhofer HHI und den diversen Partnereinrichtungen und -unternehmen entwickelter Machine-Learning-Algorithmen sowie statistischen Analyseverfahren werden diese verschiedenen Datenschichten intelligent miteinander kombiniert. In der Folge entstehen umfangreichere und insbesondere genauere Vorhersagen von korrelierenden Krisensituationen. Die erhaltenen Prognosen, am Beispiel Corona-Pandemie vs. Wetterextrema etwa epidemiologische Verläufe, medizinische Fragestellungen, wetterabhängige Gefahrenlagen oder Schadensmodellierungen von Logistiksystemen, werden dann in interaktive graphische Systeme zur Darstellung überführt. In sehr detaillierter Form stehen diese Spezialanwender*innen, wie beispielsweise Firmen, zur Verfügung, in vereinfachter Form werden sie als Dashboard innerhalb der »DAKI«-Plattform der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Wohin geht die Reise?
»DAKI-FWS« befindet sich mittlerweile im zweiten Projektjahr. Nach der Ideen- und Konzeptionsphase geht es nun um die praktische Integration des Systems und vor allem auch die Frage, welche Services in welcher Form letztlich angeboten werden können und sollen. »Da hilft es nur, wirklich direkt mit den Beteiligten zu sprechen, also mit öffentlichen Stellen, mit Firmen, mit Risikoanbietern.«, betont Jackie Ma, Leiter der Gruppe Angewandtes Maschinelles Lernen am Fraunhofer HHI. Mittlerweile, so Ma, sei man besonders damit beschäftigt Demonstratoren zu bauen und zu erproben. In welcher Form »DAKI-FWS« nach der Projektlaufzeit weiterleben wird, ist dabei noch offen: erst in der Verwertungsphase, in der die Entwicklung eines Geschäftsmodells erfolgen soll, werde sich das herauskristallisieren. Besonderer Fokus solle aber auf jeden Fall darauf liegen, mittels unterschiedlicher krisenunspezifischer Daten möglichst viele Use-Cases mit der Daten- und KI-gestützten Analyseplattform abzudecken. Jackie Ma ist zuversichtlich: »Da gibt es wirklich viel, was man noch kombinieren kann und wo man sagt, das war gar nicht die ursprüngliche Motivation, aber diese Multi-Hazard-Einflüsse sind wissenschaftlich und auch gesellschaftlich von großer Bedeutung.«.
(rah)
Experte
Dr. Jackie Ma
Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik Heinrich-Hertz-Institut HHI