Zum Zug kommen

Mehr Güter auf die Schiene bringen: Das Ziel hatten Deutschland und die EU schon vor Jahren ganz oben auf ihre Verkehrsagenda gesetzt. Getan hat sich allerdings zu wenig. In den vergangenen zehn Jahren nahm der Transportanteil auf der Straße weiter zu – von 74 auf 77 Prozent. Mit dem Zug wurde nur rund ein Fünftel der Güter verfrachtet. Ein Team von Fraunhofer-Expert*innen hat nun nicht nur erforscht, warum das so ist, sie stellen auch Konzepte vor, wie ein effizienter, kostengünstiger und ökologischer Warentransport künftig aussehen könnte. ​

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah. Goethe mag mit diesem Spruch Vieles und vor allem Romantisches gemeint haben. Heute aber ließe sich so auch ein zentrales Ziel zur Verbesserung der Verladeinfrastruktur in Deutschland beschreiben. Das »Gute« sind dabei die rund dreißig kleineren KV-Terminals, die quer durch die Republik in Randlagen von Metropolregionen angesiedelt sind. Zum Beispiel in Dörpen westlich von Bremen, im mittig zwischen Hamburg und Hannover gelegenen Soltau, im Norden des Frankfurter Ballungsraums in Fulda, in Augsburg nahe München oder in Schweinfurt am Rand der Metropolregion Nürnberg. Sie erfüllen vier wichtige Kriterien: Erstens sind sie nicht weiter als rund 100 Kilometer von einem Wirtschaftszentrum entfernt. Zweitens haben sich in ihrem Umkreis zahlreiche produzierende Betriebe angesiedelt, die auf eine effiziente Logistik angewiesen sind. Drittens liegen sie näher als die zentralen KV-Knoten. Und viertens haben sie meist noch Containerstellplätze und Verladekapazitäten frei, während sich an den Großstadtterminals etwa am Hafen Frankfurt oder in München Riem die Container stapeln und LKW auf ihre Abfertigung warten müssen. Für immer mehr Unternehmen dürfte es sich also eigentlich kaum lohnen in die Ferne zu schweifen, denn ein kleinerer Umschlagsknoten für den Kombinierten Verkehr (KV) liegt (oft) nah. Trotzdem aber wird dieses Angebot selten genutzt. Viel zu selten.  

Wo die Ursachen für diese Zurückhaltung liegen, war bisher noch kaum erfasst. In dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Projekt »Regionale Verladeplattformen zur Nutzung von KV-Terminals in Randlagen«, kurz: ReVeLa haben Forscher*innen der Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen Bagszas Industrial Logistics nun versucht, diese Frage zu klären. Und sie haben ein praxisreifes Konzept entwickelt, wie die aktuell unbefriedigende Situation überwunden werden kann. 

Viele Akteure – wenig Transparenz 

Wenn ein Unternehmen in Süddeutschland einen Container mit seinen Produkten möglichst klimaschonend in Rotterdam verschiffen lassen will, nutzt es in der Regel den sogenannten intermodalen Verkehr, also eine Kombination aus Straßen- und Eisenbahntransport. »Das allerdings erhöht die Komplexität des Transports, denn wer intermodal transportieren will, braucht viele Akteure, die für ihn tätig werden«, erklärt Moike Buck von der Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer IIS. An den Dienstleistungen eines KV-Terminals sind verschiedenste Anbieter beteiligt: Spediteure, die Transporte vom Start bis zum Ziel organisieren. Die Intermodal-Operateure, die Züge betreiben und den Schienentransport beauftragen. Die Eisenbahnunternehmen, von denen die Züge zwischen den Terminals gefahren werden. Sowie die für die Verladung zuständigen Terminalbetreiber. Mit im Spiel sind darüber hinaus beispielsweise noch Vermieter von Waggons und Containern oder die Lkw-Fahrer*innen mit eigenen Fahrzeugen, die im Auftrag die Container oder Sattelauflieger zum Terminal oder von dort zum Zielort bringen. »Dieses Konglomerat aus beteiligten Unternehmen macht allein die Planung und Vertragsvorbereitung von KV-Transporten sehr zeit- und arbeitsaufwendig«, betont Buck. Und damit sei noch längst nicht gewährleistet, dass beim eigentlichen Transport alle Dienste nahtlos ineinandergreifen und die Prozesse ohne Zwischenfälle ablaufen.  

All das, so Buck, seien gewichtige Gründe, warum Logistikverantwortliche auf bewährte, eingespielte Kooperationen zurückgreifen. Und diese sind in der Regel nur bei großen, zentralen Terminals zu finden. Denn hier seien das Know-how zu den Abläufen und Erfahrungen mit den jeweiligen Ansprechpartner*innen über eine lange Zeit gewachsen. In Interviews, die die Forscherin mit Branchenvertreter*innen geführt hat, hatte sich gezeigt, dass dieser Vorteil selbst dann noch überwiegt, wenn ein Regionalterminal vergleichbare oder sogar kostengünstigere Dienste anbietet. Die Attraktivität von kleineren KV-Terminals sei sogar so gering, dass manches Unternehmen im Zweifel lieber ausschließlich auf LKW setze.  

Doch es gibt noch weitere Erklärungen, warum Regionalterminals oftmals eher zweite oder sogar dritte Wahl sind: Zum einen sind die Angebote der kleineren KV-Terminals den Entscheidern wenig bekannt und die für eine zügige Auftragsplanung erforderlichen Informationen nur schwer zu erhalten. »Teils können selbst grundlegende Daten, wie die angebotenen Strecken und die Fahrpläne bestehender Zugverbindungen zum und vom Terminal nicht schnell und komfortabel abgefragt werden«, sagt Buck. Und zum anderen schrecke es ab, alle, dann neuen, Beteiligten eines Transports zu koordinieren. Dazu kommt, dass es – sobald ein Transport auf dem Weg sei – immer noch problematisch sein könne, den Transportweg kontinuierlich und lückenlos nachzuverfolgen. »Das heißt nicht, dass die einzelnen Dienstleister das nicht können. Aber jeder verwendet dafür sein eigenes Tracking oder Kontrollsystem. Was fehlt, ist die übergreifende Sicht. Die aber wäre für den Spediteur oder das beauftragende Unternehmen elementar«, erklärt Buck.

Digitale Plattform schafft Mehrwerte

»Mit dem Erfassen der Situation haben wir aber auch mehr Wissen darüber gewonnen, wie die aktuelle Situation geändert werden könnte«, sagt die Forscherin. Dabei ist der Lösungsansatz, den sie und ihr Team entwickelt haben, ein sehr grundsätzlicher: Eine digitale Plattform, die informiert, die zusammenbringt und die Transparenz schafft. Welche Effekte eine solche ReVeLa-Plattform haben kann, zeigt ein Demonstrator, der für das KV-Terminal in Schweinfurt entwickelt wurde.  

Die Plattform bietet alle für KV-Transporte relevanten Informationen auf einen Blick – von den Einrichtungen und Dienstleistungen des Terminalbetreibers über mögliche Transportstrecken und Zusatzservices bis hin zu den Kooperationspartnern, die das Terminal bedienen. Für potenzielle Kunden besonders hilfreich ist ein integrierter Simulator. »Der Spediteur oder das Unternehmen gibt an, was wohin transportiert werden soll. Und der Computer errechnet ihm, welche Möglichkeiten dafür aktuell zur Verfügung stehen«, so Buck. Zudem zeige der Simulator Schritt für Schritt den gesamten Ablauf des Transports – zu und von dem Regionalterminal und gegebenenfalls über weitere KV-Knoten bis zum Ziel.  

Weil alle dabei beteiligten Transportpartner über die Plattform eingebunden sind, können sie sofort und ohne Umwege ihr Angebot abgeben. Und weil durch das All-in-one-Prinzip ein einheitliches System zur Nachverfolgung zur Verfügung steht, ist es ebenso möglich, ein komfortables, durchgängiges Tracking zu gewährleisten. Zusätzlich bietet die Plattform Schnittstellen, über die sich weitere Services auch anderer Anbieter einbinden lassen. Beispielsweise könnten darüber bestehende Webangebote eingebunden werden, wie eine interaktive Kartendarstellung der europaweiten Terminals und Dienstleister für den intermodalen Verkehr. »Unser Anspruch ist es, den KV-Akteuren und Unternehmen eine möglichst umfassende Daten- und Kommunikationsumgebung zu bieten«, sagt Buck.  

Voraussetzung dafür sei es allerdings, dass alle Akteure ihre Daten ein Stück weit auch anderen zur Verfügung stellen. »Dieser Aspekt ist natürlich sensibel, denn die einzelnen Anbieter sind nicht nur Partner bei den Transporten, sondern stehen teils untereinander auch in Konkurrenz«, konstatiert Buck. Die Plattform sei deshalb so aufgebaut, dass jeder der Beteiligten über seine Benutzungsschnittstelle nur die Informationen einsehen oder bearbeiten kann, die er für seine jeweilige Aufgabe auch wirklich benötigt. 

KV-Verbund transportiert am nachhaltigsten

Parallel zu dem Konzept für eine Plattform hat das ReVeLa-Team auch generelle Fragen zur Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit von KV-Terminals untersucht. Die Forscher*innen haben dafür typische Transportverläufe simuliert. Und das unter der Annahme, dass entweder nur Lkws eingesetzt werden oder dass KV-Verkehr einerseits ausschließlich über die zentralen Terminals der Metropolregionen und andererseits im Verbund mit regionalen Umschlagplätzen genutzt wird. Die Ergebnisse zeigen ein klares Bild: Den bei weitem höchsten CO2-Ausstoß verursacht der Transport auf der Straße. Wer für den KV-Verkehr nur die zentralen Terminals nutzt, spart demgegenüber bereits mehr als die Hälfte der klimaschädlichen Emissionen (und der damit verbundenen CO2-Kosten) ein. »Der Nachhaltigkeitsprimus aber ist der Transport unter Einbeziehung der Randlagenterminals: Er bringt Container und Sattelaufleger um noch einmal zwanzig Prozent klimaschonender ans Ziel«, resümiert Buck.  

Wichtig für die Unternehmen sind aber vor allem die generellen Kosten und der Faktor Zeit. Beim Kostenvergleich komme es maßgeblich auf den jeweiligen Einzelauftrag an, sagt Buck. In vielen Fällen aber, so die Forscherin, sei der KV gegenüber der Straße konkurrenzfähig, teils sogar günstiger. In einem aber habe KV noch einen deutlichen Nachteil: Wenn es vor allem auf die Dauer des Transports ankommt, dann ist die Straße weiterhin wegweisend. »Der Wechsel zwischen Straße und Schiene wird immer Extrazeit benötigen, allerdings sehen wir hier auch noch ein erhebliches Einsparpotenzial« betont Buck. Vor allem eine verbesserte digitale Unterstützung könne die Prozesse deutlich beschleunigen. Wie sich das an den KV-Terminals in der Praxis umsetzen lässt, wird das Fraunhofer IIS-Team im Folgeprojekt »KIProKV« erforschen. 

Zum inzwischen abgeschlossenen Projekt »ReVeLa« finden Interessierte eine detaillierte Zusammenstellung der Ergebnisse im »Praxishandbuch: Plattformlösungen im Kombinierten Verkehr – Wie Randlagenregionen mit Daten gewinnen«


Moike Buck

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